Freitag, 26. Juni 2009

Christdemokratisch.

Ich habe schon lange nicht mehr geschimpft und muss es jetzt zwangsweise wieder tun, da sich die Anzahl an verachtungswürdigen Äußerungen und Aktionen meiner Lieblingspartei schon wieder gehäuft haben.
Ich hege ein gewisses Unverständnis dafür, dass diese Partei tatsächlich über Jahrzehnte hinweg (mit ganz wenigen Ausnahmen) die stärkste Fraktion im Bundestag stellt (und noch weniger, dass dieses Konstrukt, das sich "christlich-sozial" nennt, in Bayern jahrzehntelang alleine regiert hat).
Zum einen liegt das daran, dass für mich die Elemente "christlich" und "demokratisch" nicht so wahnsinnig viel miteinander zu tun haben und eine politische Diskussion mit religiösen Argumenten nicht selten gesellschaftlich ziemlich schädlich ist (geschehen bei jeder Art von Äußerungen des Papstes bzgl. Kondomen, der Blick nach Amerika bzgl. gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften u.ä.). So war die Trennung von Kirche und Staat wohl eine der größeren Errungenschaften der jüngeren Geschichte und hat den Weg für jede Form von Demokratie erst bereitet.
Natürlich werde ich hier jetzt nicht über die Kirche urteilen, schließlich ist das Element "Glauben" für viele Menschen bereichernd und erfüllend und soziale Engagements der Kirche sind v.a. insofern wichtig, dass sie eine Unterversorgung durch Staatsversagen ausgleichen.
Eine wertende Analyse insgesamt braucht mehr Aufwand, als ich in meinem Blog aufbringen möchte.
Meine Abneigung gegen die CDU hat aber vor allem Gründe, die sich aus abweichendem Menschenbild, Gesellschaftsbild und v.a. Demokratieverständnis ergeben.
Für diese drei Punkte hat es allein gestern jeweils ein wunderbares Beispiel gegeben:

1. Gesellschaftsbild:
Oettinger will Mehrwertsteuer erhöhen (zeit.de)
Insgesamt finde ich die Diskussion um Steuersenkungen in der Union grauenhaft. Man hat derzeit eine Wirtschaftskrise, außerdem gerade eine sogenannte Schuldenbremse durchgeboxt und möchte den Staat gleichzeitig weiter verarmen lassen, indem man die Steuern senkt. Dass diese Steuersenkungen eigentlich nur Besserverdienenden (sogenannten Leistungsträgern) zugute kommen würden (weil Wenigverdiener ohnehin keine oder nur wenig Einkommenssteuer zahlen), wird meistens verschwiegen.
Um da noch einen draufzusetzen möchte Günther Oettinger jetzt also den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7% abschaffen und die ansonsten üblichen 19% erheben.
Bezogen wird dieser Satz v.a. bei Lebensmitteln, beim öffentlichen Personennahverkehr und bei Kulturgütern. Diese Sachen würden demnach teurer werden. D.h. im Einzelnen, dass damit einmal Menschen ganz besonders belastet werden, für die Lebensmittel ohnehin nicht einfach zu finanzieren sind. Dann kommt eine zusätzliche Erschwerung des Zugangs zu kulturellen Gütern dazu. Theater, Konzerte u.ä. sind sowieso schon großteils den Besserverdienenden vorbehalten, diese Entwicklung würde damit verschärft. (Dies ist übrigens einer der Gründe, warum ich die Ansätze der Piratenpartei so toll finde, denn ein unbeschränkter Zugriff auf Musik und Filme für jeden, wäre in meinen Augen etwas Urdemokratisches.)
Und dass eine stärkere Besteuerung von Bus und Bahn ökologisch wie sozialpolitisch totaler Unfug ist, muss ich glaube ich nicht weiter erläutern...
An sich ist Oettingers Gedankengang zumindest nicht so unlogisch wie die Vorstellung der FDP und einiger Unionspolitiker, denn irgendwoher muss schließlich das Geld wieder kommen, wenn man erstmal die Steuern gesenkt hat. Oettingers Forderung ist somit zwar direkter, aber noch nicht einmal verabscheuungswürdiger als das FDP-Gesäusel, was nach der Wahl dann wohl v.a. in einer Kürzung von Sozialleistungen münden würde.

2. Demokratiedefizit:
Internetsperre für Killerspiele gefordert (taz.de)
Der Hauptkritikpunkt für die Internetsperre von Zensursula war und ist, dass eine Ausweitung der Zensur auf andere Themen befürchtet wurde. Von den "Machern" wurde das immer wieder versucht zu entkräftigen, während Politiker von CDU und SPD, allen voran die Herren Wiefelspütz und Strobl, die Unglaubwürdigkeit dieser Versicherungen immer wieder untermauerten. (Vereinzelt wird sogar gefordert, auch Urheberrechtsverletzungen durch Sperren zu verhindern)
Jetzt fordert Thomas Strobl tatsächlich, nur ein paar Tage nach Verabschiedung des Gesetzes, eine Ausweitung der Sperre. Ganz offen. Das ist gegenüber allen Kritikern und Petitionis Petitionä Unterschreibern der Petition rücksichtslos und schamlos.
Ihre Krönung findet die Forderung in einem Satz, der bei mir mittlerweile einen leichten Brechreiz auslöst:
"Wenn es einen Nachweis gibt, dass sich Killerspiele negativ auf das Verhalten Jugendlicher auswirken, dann kann das Internet kein rechtsfreier Raum sein"
Thomas Strobl

Mal ganz davon abgesehen, dass der erste Teil des Zitats schon ziemlicher Unfug ist, weiß ich gar nicht, wieviele Politiker in den letzten Wochen und Tagen bereits bekräftigen mussten, dass das Internet ja nun wirklich kein rechtsfreier Raum sein darf. Passend dazu gibt es bei SpOn heute einen guten Artikel über den Blödsinn dieser Phrase: Klack. Lesen! Großartig ist btw.:
"Ein Mischwald darf kein spechtfreier Raum sein" (via twitter)

Liebe Politiker, das Internet IST kein rechtsfreier Raum, allein die Strafverfolgung gestaltet sich in manchen Fällen etwas schwieriger (v.a. was Urheberrechtsverletzungen angeht).
Das Argument (Internet, rechtsfreier Raum) wird nun immer mehr dazu benutzt, staatliche Eingriffe ins Netz zu rechtfertigen.
Ein Musterbeispiel einer solchen Argumentation hat gerade Ursula von der Leyen gebracht, die auf fast jedes Argument von Franziska Heine (der Initiatorin der Petition gegen die Internetsperren) in der ZEIT auf eine ganz besondere Weise antwortet:

"Im Internet gelten keine anderen Freiheiten als anderswo."

"Ganz wichtig ist mir, dass das Recht in der realen Welt genauso selbstverständlich gilt wie in der virtuellen Welt."

"Es darf keinen Bereich geben, in dem andere Regeln gelten als sonst im Alltag."
Diese Vorgehensweise ist nichts anderes als eine bewusste Täuschung des Volkes, denn wer will schon ein rechtsfreies Internet (und wie kann man nur gegen Kinderpornosperren sein?). Was wirklich hinter solchen Gesetzen steckt, wird bis zum Beschluss unter Verschluss (!) gehalten und mithilfe der Bild-Zeitung auch immer mal wieder so verdreht, dass man es gar nicht richtig verstehen kann. (Mal zur Information: Eine der Kämpferinnen für die Sperre aus der CDU, Martina Krogmann ist mit dem stellvertretenden Bild-Chefredakteur Alfred Draxler verheiratet)

3. Menschenbild
Die CDU und die "Three-Strikes"-Forderung (taz.de)
Kurz zur Erläuterung: Die CDU wollte denjenigen den Internetzugang sperren, die 3x illegal Filesharing o.ä. betrieben haben.
Ich möchte auf diese Forderung, die ja tatsächlich auch im Wahlprogramm stand, gar nicht so weit eingehen, denn man hat sie jetzt wieder zurückgenommen (also zumindest mal öffentlich, wer weiß, was nach der Wahl dann passiert).
Das Urteil, dass in Frankreich dieses Three-Strikes-Modell für verfassungswidrig erklärt hat, gibt es zusammengefasst auf zeit.de
Ebenda gibt es auch einen schönen Verriss des CDU-Wahlprogramms bzgl. Netzpolitik.

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