Mittwoch, 21. Oktober 2009

Sonntag.

Der Sonntag war immer ein ganz besonderer Tag. Man war Samstag abends weg und schlief dann morgens lange und hatte meistens nichts besonderes zu tun als mit Kater vor dem Fernseher oder dem PC zu sitzen. Jetzt bin ich nun aber Student und da man ja eigenverantwortlich ist, ist jetzt potentiell die ganze Woche Sonntag. Oder so. Jedenfalls war heute so ein echter Sonntag. Die Nachwirkungen einer gestrigen Juristenparty (ich weiß, dass das ne widerliche Sache ist, aber hey, einmal im Semester...) haben dazu geführt, dass ich meinen Bewegungsradius nur auf den nahegelegenen Supermarkt ausgeweitet habe und mich kulturell betätigt habe. Ja. Ich habe einen Film gesehen und Musik gehört. Das ist eigentlich nicht sonderlich der Rede wert, aber heute abend hat es mich irgendwie doppelt umgehauen und dafür sind Wintersleep und ein hervorragender Film names "Das Weiße Band" verantwortlich.

Wintersleep sind eine Rockband aus Kanada und weil einem da als allererstes die Weakerthans einfallen, ist der erste Hördurchgang mit einem Gefühl der Vertrautheit verbunden. Tatsächlich findet sich der melancholische Indie-Rock mit großartigen Texten von Wintersleep irgendwo zwischen den Weakerthans und der Band Of Horses (und die Stimme klingt ein bissjen wie bei Clap Your Hands Say Yeah) wieder. Also ein Teil schneller, punk-ähnlicher Songs, eine fantastische Ballade namens "Dead Letter" und auf der anderen Seite ein ausuferndes 8-Minuten Epos mit langen Instrumentals und vielen "Ah-s". Damit reihen sich Wintersleep in die traurige Reihe der Bands (u.a Built to Spill und PeterLicht) ein, die vor kurzem in Heidelberg gespielt haben und erst danach von mir "entdeckt" worden sind.
Der nachfolgende Textteil ist wahrscheinlich so ziemlich das Beste, was ich seit langem gehört habe:
I think I think I think a little too often
That's what my therapist said
We're alone in this wilderness
Left to choke on the pills and to feed on the viruses
I think it's coming and it comes so fast
Oder:
Do you still believe in God?
Said the preacher to the astronaut
I heard it's kinda lonesome there
Nothing to talk to but a cold, cold air
Tell me, tell me what was it like?
Did meaning fall from that celestial light?
Did it wrap you up in conversation?
Did it leave you like some ineffable nothing?
Are you feeling alright?
In the blink of a flashing, blinding light
Das geht unter die Haut.

Mindestens genauso erwähnenswert ist der Film "Das weiße Band" von Michael Haneke, der seit 2 Wochen im Kino zu sehen ist (Achtung, das ist teilweise ein bissjen spoilerhaft).
Es geht um ein kleines Dorf im Norden Deutschlands aus dem Jahr 1913, in dem innerhalb einiger Monate einige seltsame Dinge geschehen. Der Dorfarzt hat einen mysteriösen Reitunfall, eine Frau stürzt sich in einer Mühle zu Tode, das Kind des Barons des Dorfes wird misshandelt aufgefunden, genauso wie später das behinderte Kind der Hebamme. Der Lehrer, der als Erzähler von einem späteren Zeitpunkt aus das Erlebte berichtet, sagt bereits am Anfang des Films, dass diese Geschichte vielleicht eine Erklärung für das geben könne, was später in Deutschland passieren werde und diese "Vorwarnung" sagt einem gleich, worauf man bei dem Film im Besonderen achten muss: Es sind die Kinder, von ihren Eltern gezüchtigt, gedemütigt, geschlagen und sexuell missbraucht, die eine ganz besondere Rolle spielen. Sie sind immer die ersten, die am Ort des Unfalls sind, und geben den ganzen Film einen Anschein von Unschuld, Höflichkeit, unwissender Naivität und Demut ab, das nur einmal ganz offensichtlich in einer (mE) Schlüsselszene durchbrochen wird, wenn sich der bisher versteckte Neid in Wut und Gewalt entlädt. Diese Szene ist deshalb so interessant, weil der Film eigentlich jede Art von Ausbruch, in Worten und in Taten, verweigert. Wenn der Arzt die Hebamme verstößt und dabei aufs Tiefste beleidigt, dann macht er dies in einem Ton und einer Haltung, die auf ein normales Alltagsgespräch schließen lassen würde. In der Szene, in der der Pastor seine Kinder bestraft und schlägt, wird nicht das Geschehen gezeigt, sondern nur eine geschlossene Tür (durch die vorher der regungslose Sohn gegangen ist) gezeigt, hinter der man die Schreie gedämpft hören kann. Diese völlige Kälte im Umgang miteinander (eindrucksvoll unterlegt durch einen leicht vergilbten Schwarz-Weiß Ton des Filmes, der jede historische "Romantik" unterbindet) wird gerade in dieser Person des Pastors (Burghardt Klaußner) grandios dargestellt. Hier könnten als Beispiel fast alle Szenen, in denen er auftritt, aufzählen, besonders eindrucksvoll ist aber der Liebesentzug, als sein jüngster Sohn ihn mit einem gefangenen Vogel über den Verlust seines ermordeten Kanarienvogels hinwegtrösten möchte, und der Pastor einfach nicht fähig ist, Gefühlsregung zu zeigen. Auch das namensgebende weiße Band ist eine "Idee" des Pastors, der mit dem Anbringen einer weißen Schleife im Haar der Kinder diese an ihre Unschuld erinnern soll. Überhaupt kann fast jede Szene (vielleicht abgesehen von der Liebesgeschichte des Lehrers) als Puzzleteil des Filmes gesehen werden, der am Ende keine Lösung präsentiert. Natürlich drängen sich die rätselhaften Kinder als Übeltäter auf, aber es kommt gar nicht darauf an, ob sie es nun wirklich gewesen sind oder nicht. Es ist erschütternd genug zu wissen, dass sie dazu fähig gewesen sein könnten.
Und denkt man den Gedanken weiter, so fragt man sich:
Zu was werden diese Kinder fähig sein, wenn sie erstmal erwachsen sind?

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