Freitag, 20. November 2009

Der schwarz-gelbe Zeitgeist.

Meine ersten Gedanken am 27.9. dieses Jahres um 18.01 Uhr waren nicht Enttäuschung oder Wut, sondern Unverständnis. Mir war es völlig schleierhaft, wie in einer Zeit, in der die "Welt nach sozialdemokratischen Antworten geradezu schreit" (Sigmar Gabriel), ein rechtsliberaler Wahlsieg zustande kommen kann.
Selbstverständlich hat die Stärke der anderen auch viel mit der Schwäche der SPD zu tun (und damit, dass die Kritiker der SPD oft genug auch ihre Vorbehalte gegen die Partei Die Linke haben und eher der Wahl fernbleiben, als den eigentlich logischen Sprung zu machen), aber allein das greift nicht weit genug und vernachlässigt jene gesellschaftlichen Entwicklungen, die mit einem starken "bürgerlichen" Lager einhergehen.
Das, was Sigmar Gabriel letzte Woche auf dem Parteitag über die Erfordernis einer Rückgewinnung der Deutungshoheit in der Gesellschaft gesagt hat, zeigt sich in vielen Äußerungen, nicht nur in Faz, Welt oder Zeit, sondern auch von Freunden und Kommilitonen: Elitedenken ist weiter verbreitet als gedacht und befürchtet.
Die Definition von Leistung (i.S.v. "Leistungsträger", "leistungswillig" im Gegensatz zu "Leistungsempfänger" und "leistungsunfähig oder -unwillig") liegt wieder voll in der Hand der konservativen Kräfte. Vielverdiener sind so automatisch Leistungsträger und zahlen ja viel zu viele Steuern und Arbeitslose sollen doch bitte ein wenig dankbarer ihre Leistungen entgegennehmen und würden ja ohnehin Arbeit finden, wenn sie sich drum bemühen würden.
Auch, dass man es geschafft hat, dem Begriff "links" die "Bürgerlichkeit" entgegenzusetzen, ist sicherlich ein Verdienst von jahrelanger harter Oppositionsarbeit. "Links" ist wieder negativ besetzt, meistens mit faul, rebellisch, neidisch und rechthaberisch, während das "Bürgerliche" durch Vermeidung des ebenfalls negativ besetzten Begriffes "rechts" für Fleiß, Anstand, Stil und kulturelle Interessiertheit steht.
Zu dieser Manipulation durch Sprache hat Erhard Eppler letzte Woche auf dem Parteitag sehr richtig gesagt:
Wir Deutschen leiden darunter, dass wir für die französischen Worte Citoyen – Staatsbürger, Souverän der Demokratie – und Bourgeois – Besitzbürger – leider nur ein einziges Wort haben, nämlich Bürger. Mit dieser Armut der deutschen Sprache wird nun seit 200 Jahren Schindluder getrieben. Lasst das einen alten Mann hinzufügen: In den 70er-Jahren habe ich geglaubt, es sei zu Ende mit diesem Schindluder. Jetzt fängt es wieder an. Das ist ja grotesk: Wenn bei uns einer zum Kommiss kommt – Wehrpflicht ableistet –, ist er doch ein Bürger in Uniform, ein Citoyen in Uniform. Völlig richtig! Aber wie ist es, wenn er die Uniform wieder auszieht? Ist er dann nur ein Bürger, wenn er zur CDU oder zur FDP geht?
Nicht nur die Gesellschaft selbst, auch die gesellschaftliche Haltung hat sich in den letzten 11 Jahren verändert. Ein Beispiel dafür ist, mit welcher Begeisterung Guttenbergs Berufung ins Kabinett im Februar aufgenommen wurde. Die Attribute "stilvoll, gut angezogen und adelig" reichen offenbar schon, um im Bewusstsein der Bevölkerung einen guten Minister auszumachen. Dass Guttenberg selbst in seinem politischen Handeln eine ganz und gar großbürgerliche Haltung an den Tag legt, fällt da nicht ins Gewicht und wird sogar noch unter "Ehrlichkeit" subsumiert.
Auch und gerade, dass Guttenbergs vermeintliche "Adeligkeit" ein besonderes Interesse des Boulevard weckt, zeigt: Status ist wieder in. Willkommen im 19. Jahrhundert. Dass der Adel seit 1918 abgeschafft ist und die damaligen Entscheidungsträger gnädiger als bspw. die Österreicher waren, die ihren vormaligen Blaublütern das Tragen ihrer Standesnamen verboten haben, und dass die Abschaffung der Unterdrückung durch den Adel im Stände- und Klassensystem einer der härtesten und blutigsten Kämpfe der letzten 300 Jahre war, wird überhaupt nicht wahrgenommen.
Wenn man von Status redet, so hat dies immer die Prinzipien von Machterhalt und Abgrenzung zur Folge.
Tanja Dückers schreibt dazu in der Zeit zutreffend:
Die Frage, wie diese dichotome Welt von wohlhabenden, kunstsinnigen Leistungsträgern und tumben, niveaulosen Leistungsempfängern überhaupt entstehen konnte, stellen sich die Protagonisten des neuen Zeitgeistes nicht. Die neue Avantgarde ist für sie Ergebnis eines quasi nietzscheanischen Akts – geboren aus dem puren Willen zum Erfolg. Als sei der Umstand, ob man in Lohn und Brot steht, lediglich eine Frage von Wille und Leistung.
Dass in Deutschland die soziale Durchlässigkeit seit Jahren abnimmt, wird nicht nur ausversehen übersehen, sondern ist wohl gewollt. Statusveränderung ist schließlich Sozialismus. Oder so.

Bevor man konkrete Lösungen von Sachentscheidungen wie bei den Arbeitslosenhilfegesetzen, der Rente mit 67 etc. als DEN Weg aus der Krise der Sozialdemokratie sieht, sollte man sich klar darüber sein, dass die neue Regierung tatsächlich eine Regierung der Mitte ist. Natürlich nicht in dem Sinne, dass die neue Politik einen Ausgleich zwischen rechten und linken Positionen und den verschiedenen Schichten der Gesellschaft sucht, sondern dass rechtskonservative und neoliberale Positionen im Moment die Deutungshoheit in der Gesellschaft innehaben.
Der Weg zu einer neuerlich starken Sozialdemokratie kann also nicht auf Sachentscheidungen oder Glaubwürdigkeitsrückgewinn reduziert werden, sondern kann nur mit einer Umwälzung des wortwörtlich herrschenden Denkens einhergehen.

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