Donnerstag, 17. September 2009

Das Zugangserschwerungsgesetz.

Ich habe mir gestern morgen auf Empfehlung das ZDF-Wahlforum von vorgestern einmal angesehen (und zwar hier) und habe mich wieder furchtbar über das Verhalten von Ursula Von der Leyen und die plumpe, undifferenzierte Zustimmung vom SPD-"Hoffungsträger" Gabriel (sagt jedenfalls der Spiegel) geärgert. Irgendwie hat der mündige Bürger da das Gefühl, dass diese Frau es niemals lernen wird. Immer wieder muss erzählt werden, dass es ja noch ach so viele Verbrecherstaaten gibt, bei denen Kinderpornografie nicht geahndet werden kann, was in einigen Fällen längst widerlegt worden konnte, aber vdL wohl ziemlich egal ist (da passieren dann so Sachen, wie das hier). Die ganze Kritik scheint ihr aber insofern nicht egal zu sein, dass sie ihre Imagekampagne noch ausweitet und sogar Wahlkampf (Achtung! Widerlich!) mit ihrem Gesetz macht, das beim besten Willen nicht wirkungsvoll genannt werden kann. Ergänzend dazu sollten diese beiden sehr sehenswerten Zapp-Beiträge angesehen werden, in denen sehr gut dargelegt wird, mit welchen Mitteln die gute Frau da arbeitet.
Wodrum es mir jetzt aber eigentlich geht, ist der Umgang mit der Problematik von der "anderen" Seite. Selbstverständlich bin ich auf dieser Seite und habe ebenso wie andere versucht, die Sperren zu verhindern. Nachzulesen ist das hier in einem Brief an den SPD-MdB meines Wahlkreises Lothar Binding. Ich hatte das große Glück, mit eben diesem die Problematik auch im persönlichen Gespräch zu behandeln und zum ersten Mal eine Sichtweise abseits von "Überwachungsstaat" und "Kinderpornografiebekämpfung" zu erhalten.
Binding hat bei abgeordnetenwatch.de eine Stellungnahme zu den Netzsperren generell geschrieben (an der ich ein kleines bissjen mitfeilen durfte). Bitte lesen. Zum Einen geht es dort um die Entkräftung der Angst vor den Sperren, bzw. vor der mythischen "Ausweitung" der Sperren.
Das Zugangserschwerungsgesetz ist ein für das konkrete Ziel der Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornographie im Internet entwickeltes, zeitlich begrenztes Spezialgesetz. Der Entwurf des Wirtschaftsministeriums hatte lediglich eine entsprechende Änderung des Telemediengesetzes vorgesehen. Mit der spezialgesetzlichen Regelung, die wir erst im parlamentarischen Verfahren durchgesetzt haben, wird die rechtliche Grundlage unseres Vorhabens in seinen Inhalten deutlich verbessert. Es geht – eng begrenzt – um die Sperrung von Internetseiten mit Kinderpornographie, ausdrücklich nicht um die Sperrung anderer Inhalte. Diese rechtliche Begrenzung des Anwendungsbereiches kann auch nicht durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung per Beschluss geändert werden. Damit können wir verhindern, dass die Sperrinfrastruktur des Gesetzes auch für andere Aufgaben eingesetzt werden kann – an Vorschlägen und Forderungen, etwa für Strafverfolgungszwecke oder zum Schutz des geistigen Eigentums im Netz, fehlt es nicht.
So wie ich das verstanden habe, heißt das: Ausweitung rechtlich nicht möglich. Wenn es nun also eine Sperre für "Killerspiele" geben soll, muss von vorne angefangen werden. Das Zugangserschwerungsgesetz "hilft" dabei nicht.

Der zweite erwähnenswerte Punkt ist ein Argument FÜR das Gesetz:
Das Zugangserschwerungsgesetz ist auch ein rechtlicher Schutzmechanismus gegen eine unkontrollierte und intransparente Ausweitung von Internetsperren, der angesichts der überstürzten Handlungen der Bundesfamilienministerin notwendig wurde. Denn die größten Internetprovider hatten mit Frau von der Leyen Verträge abgeschlossen, die Erweiterungen der Sperren ohne einen demokratischen Gesetzgebungsprozess zugelassen hätten. Die Unternehmen standen dabei unter dem starken Druck einer öffentlichen Debatte, die durch Frau von der Leyen und Jörg Tauss geprägt worden war. Die Internetsperren erfolgten damit auf einer unkontrollierbaren und höchst fragwürdigen Basis. Wegen der Bindewirkung der abgeschlossenen Verträge hätten diese Vereinbarungen ohne nachträgliche gesetzliche Regelung gleichwohl eine Handlungsgrundlage für beide Vertragspartner dargestellt. Mehrere Provider wie beispielsweise Vodafone hatten bereits angekündigt, Internetsperren aktivieren zu wollen. Dies hätte ohne gesetzliche Regelung völlig unüberprüfbar und unbegrenzt geschehen können. Deshalb ist für mich das Gesetz die deutlich bessere zweier schlechter Alternativen – auch um sich vor Fehlinterpretationen zu schützen. Nach Abschluss der Verträge wurde somit eine geordnete, entschärfte, rechtsstaatliche Lösung erforderlich, wollte man sich nicht dem Verdacht des Zauderns und Zögerns im Kampf gegen Kinderpornographie aussetzen.
Ich halte, genau wie Binding, das Zugangserschwerungsgesetz weiterhin für Unsinn im beabsichtigten Sinne, allerdings gibt es etwas hilflosen Erklärungen von SPD-Abgeordneten, die sich der versammelten Kritik der Netzgemeinde ausgesetzt sahen, vielleicht ein wenig Deckung.

Es ist jedenfalls interessant, dass für das Gesetz wohl nicht nur Abgeordnete gestimmt haben, die keine Ahnung haben (das wurde v.a. der SPD zugeschrieben) oder tatsächlich überwachungstechnische Überlegungen und Ausweitungen im Sinne haben (eindeutig CDU ;) ), sondern auch Leute, die tatsächlich ein wenig Ahnung von der Funktionsweise möglicher Sperren und des Internets im Allgemeinen (oder bin ich der einzige, der das TCP/IP-Zeug nicht versteht?) haben.
Das mag nur ein Gegenbeispiel für diejenigen sein, die der Politik Ahnungslosigkeit vorwirft, allerdings sollten mE die Maßstäbe auch auf der anderen Seite angesetzt werden. Ich finde nicht unbedingt, dass der im Brief angedeutete harsche Ton das große Problem der Debatte ist, sondern der grobe Unsinn, der von beiden Seiten verbreitet wird.
Selbstverständlich gibt es gute und fundierte Kritik an den Sperren, sowohl bei netzpolitik.org, im lawblog, beim Niggemeier und in vielen anderen Blogs, Foren, Diskussionsrunden etc., aber exemplarisch für den Unfug, der sonst so behauptet wird, stehen für mich die beiden Youtube-Videos, die von den Moderatoren im Wahlforum präsentiert wurden:



Der erste Kerl (ab 2:05) behauptet, "wer dieses Grundrecht [er meint die "Informationsfreiheit"] einschränkt, handelt verfassungswidrig".
Das ist Blödsinn. Erstens ist die Informationsfreiheit nicht im eigentlichen Sinne ein Grundrecht, wahrscheinlich meint er die Rezipientenfreiheit aus Art. 5 I 1 2.Hs GG, die im Zuge der Informationsfreiheit geregelt wurde und einenen Bestandteil derselben darstellt. Das ist eine Kleinigkeit. Grob falsch ist allerdings, dass er meint, diese dürfe nicht eingeschränkt werden. Dafür hätte der gute Mann einfach mal ins Grundgesetz gucken sollen: Art. 5 II besagt nämlich, dass "diese Rechte" (also die aus Absatz 1) "ihren Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre [finden]". Sowas.
Natürlich ist damit nicht gesagt, dass von der Leyens Kinderpornosperre verfassungsgemäß ist, schließlich muss einmal der Schutzbereich der Rezipientenfreiheit erst eröffnet sein (ist es das, wenn Kinderpornoseiten gesperrt werden?), zweitens ist nicht gesagt, dass das Gesetz zum Schutz der Jugend oder der persönlichen Ehre dient, denn dafür müsste die Sperre ja eigentlich auch wirksam sein und drittens, wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, muss diskutiert werden, inwiefern das Ding verhältnismäßig ist, auch das ist ja fraglich.
Aber trotzdem ist die Aussage des ersten Youtube-Heinis schlichtweg falsch

Noch viel schlimmer ist allerdings der zweite Beitrag. "Inhalte, die kritisch sind, die gegen unsere Verfassung sind, müssen gelöscht werden. Und zwar dauerhaft."
Ich glaube nicht, dass er meint, dass kritische Inhalte gelöscht werden müssen, das wäre ein bissjen seltsam und kritisch meint er wohl im Zusammenhang mit "gegen unsere Verfassung". Nicht einmal der konservativste Law-and-Order CDUler würde so etwas fordern. Derjenige, der durch die Sperren einen Angriff auf Meinungs- und Informationsfreiheit sieht, der sollte sich vielleicht einmal klar machen, was Meinungsfreiheit überhaupt bedeutet...
Verfassungswidrig ist z.B., wenn ich sage, dass die Wehrpflicht als Einrichtung unnötig und schädlich ist, denn Art. 12a regelt genau diese. Verfassungswidrige Aussagen zu treffen, ist von der Meinungsfreiheit abgedeckt, anders ist das bei strafrechtlich relevanten Inhalten, also bei Holocaustleugnung, Volksverhetzung oder... Kinderpornografie (§ 184b StGB).

Hier offenbart sich ein großes Problem der Debatte, die Kritiker werfen den Politikern Unwissenheit vor und haben selbst immer mal wieder keine Ahnung. Vielleicht mag das kein allgemeiner Fakt sein, es ist jedenfalls das, was derjenige, der zu Hause vor dem Fernseher diese Diskussionen mitverfolgt, mitbekommt. Warum wundert sich denn dann die Netzgemeinde, wenn 91% der Bevölkerung für die Sperren sind?

Vielleicht einfach deswegen, weil jeder meint, sich zu einem Thema äußern zu können, von dem er genauso wenig versteht, wie die, die er kritisiert?

1 Kommentar:

  1. Ist auf jeden Fall ein hartes Ding. Meiner Meinung nach ähnlich wie beim Thema Atomkraft ist es da einfach unmöglich eine eindeutig bessere Argumentationslage auszumachen. Und das ganze ist auch noch asymemtrisch angelegt: Dort das bessere technische Verständnis und Wissen, auf der anderen Seite die bessere Absicht...

    Aber mal Anerkennung für von der Leyen: Das hat sie rhetorisch nicht schlecht gemacht im Wahlforum meiner Meinung nach.

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